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von Christophe Witz 11 Nov., 2024
Die Guten Alten Zeiten! Manchmal genügt eine bestimmte Musik, bestimmte Worte oder Bilder, um eine vage Erinnerung und eine gewisse Stimmung zu erzeugen, die das Gefühl der Gute Alten Zeit noch immer in sich trägt. Nostalgie! Je nachdem wann jemand geboren ist, verbinden sich unterschiedliche Dinge mit diesem nostalgischen Gefühl. Für manche sind es die 80er Jahre und ihr seltsamer Frisuren und Mode-Geschmack, die dieses Gefühl erzeugen. Oder die 90er Jahre, Löcher-Jeans und selbstgemachte Mixtapes auf TDK-Kassetten, die man im Walkman hörte. Oder bestimmte Sonnenuntergänge, deren Stimmung und Kontext sich nach Jahrzehnten noch abrufen lassen. Die Werbung versucht diesen Effekt für sich zu nutzen, mit unterschiedlichem Erfolg. Im Kern ist das nostalgische Gefühl so faszinierend, weil es uns mit unserer Vergangenheit verbindet, und zwar auf eine emotionale und leicht wehmütige Art und Weise. Nostalgie funktioniert dann gut, wenn sie mit einem Teil der eigenen Biografie eine Verbindung eingeht und die einzigartige Mischung aus Wehmut, Verklärung und Cringe erzeugt, die viele Menschen lieben. Die Gegenwart schneidet dabei manchmal im Vergleich zur „Guten Alten Zeit“ eher schlecht ab. In den letzten 3 Jahrzehnten haben sich viele Dinge geändert, für jeden Einzelnen und Gesamt Gesellschaftlich. Da ist es kein Wunder, wenn die Vergangenheit als Fixpunkt herhalten muss, an dem wir uns festhalten können. Diese Dynamik ist allerdings besorgniserregend nahe an einer depressiven Episode. Menschen die an Depression erkrankt sind, neigen dazu mit den Gedanken in der Guten Alten Zeit zu bleiben, und verzweifeln an der Unmöglichkeit, die verklärte Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Damit Nostalgie nicht depressiv wird, gibt es eine einfache Strategie: sich emotional mit der Vergangenheit verbinden, und dann damit wieder mit frischem Blick in die Gegenwart zurückkehren. „Back to the Future“ sozusagen. Der Blick zurück kann helfen, sich mit wichtigen Erinnerungen wieder zu verbinden und damit nach vorne in die Zukunft zu gehen. Der Rückspiegel im Auto spielt manchmal eine wichtige Rolle (z.B. beim Einparken), aber die meiste Zeit sollte man schon nach vorne schauen, um keinen Crash zu verursachen. In diesem Sinne, Christophe Witz
von Christophe Witz 22 Juli, 2024
Die Lektüre von Simon Sineks Bestseller „Gute Chefs Essen zuletzt“ hinterließ mich beeindruckt und inspiriert. Wer hätte gedacht, dass die ersten Ansätze zur Verbindung von Hierarchie und Verantwortung aus dem militärischen Fach stammen? Herr Sinek steht für diese Verbindung und vermittelt Bindungswissen und -praxis für Coaches und Führungskräfte weltweit. Hier ein kleiner Baustein aus dem Buch: Kapitel 2: Mächtige Verbündete: Das System E.D.S.O. E. steht für Endorphin. Dieses Hormon gibt Motivation für längere Strecken, es lässt uns am Ball bleiben und durchhalten. Es lindert den Schmerz der bei der Verfolgung längerfristiger Ziele entstehen kann. D. steht für Dopamin. Dieses Hormon vergibt Belohnungen für unmittelbare, kurzfristige Ziele. Durchaus auch Ziele die eine kleine Herausforderung darstellten, aber mit Fokus auf Hier-und-Jetzt. Dieser Belohnungskreislauf ist anfällig für Abkürzungen und kann suchterzeugend sein. S. steht für Serotonin. Dieses Hormon lässt uns Stolz fühlen auf Geleistetes. Es geht um Anerkennung und Respekt, Status und Selbstvertrauen. Die Bindung wird gestärkt – wir übernehmen Verantwortung, für uns Selbst und für Andere – Kollegen und Teammitglieder, aber auch für Freunde und Familie. O. steht für Oxytocin. Wie allseits bekannt, steht dieses Hormon für Bindung, Freundschaft, Liebe, Vertrauen, Mitgefühl, Großzügigkeit und Loyalität. Diese Werte stehen für langfristige Investitionen in Beziehungen. Der Kreis der Sicherheit gilt auch für die Kommunikation in und zwischen Teams. Dadurch kann z.B. ein Betriebsklima langfristig verändert und zum Grundstock des Unternehmens werden. Ist es nicht spannend, wie sich Themen der heutigen Wirtschaftswelt in Begriffen des Limbischen Systems unseres Gehirns darstellen lassen? Ich für meinen Teil nehme mir als Learning mit, sich die Extra Mühe, die längerfristige Ziele erfordern, immer wieder mal zu machen. Ansonsten bleibt man trotz bester Absichten im Klein-Klein des Alltags und des Abwickelns von Routinen stecken. In diesem Sinne, Christophe Witz
von Christophe Witz 19 Feb., 2024
5 Dinge, die ich gerne gewusst hätte, bevor ich mich 2018 selbständig machte: dass eine weltweite Pandemie die Welt mehrere Jahre im Griff halten wird dass es Zeit braucht bis die Sache ins Rollen kommt (etwa 1 Jahr kann man rechnen) dass es wichtig ist einen guten Steuerberater zu finden der sich mit Selbständigkeit auskennt dass es schwieriger wird einen Kredit zu bekommen, da Banken Selbstständige als gefährliche Spinner betrachten dass man darauf achten muss, die Grenzen zwischen Privat und Arbeit klar zu halten (sonst arbeitet man selbst und ständig und ist bald völlig erschöpft) 5 Dinge die hilfreich waren beim Start in die Selbständigkeit: das CyberLab Gründer-Coaching in der Höpfnerburg Karlsruhe das Netzwerk der Kollegen in der Supervisions Weiterbildung am Institut ISTN eine anständige Webpräsenz bei Google Business, Facebook, Xing und Therapie(de) die Unterstützung des Dachverbands DGSF und die günstige gewerbliche Haftpflicht die dadurch möglich wurde das gute Gefühl, in Eigenverantwortung und auf eigene Rechnung zu arbeiten 5 Dinge die ich zu Beginn meiner Selbständigkeit überbewertet habe: Flyer (unhandlich, teuer und nicht wirklich effektiv zur Kundengewinnung) Visitenkarten (sind manchmal nützlich, aber nicht unbedingt notwendig) Blogs (dienen vor allem dem Boosten der Webseite mit frischen Klicks) YouTube Videos über „5 Tipps für Selbstständige“ die sich oft als Zeitverschwendung herausstellten das Gefühl, immer alles unter Kontrolle haben zu müssen (man hat sowieso kaum etwas unter Kontrolle, die meisten Dinge laufen trotzdem. Man gewöhnt sich dran) Christophe Witz 19. Februar 2024
von Christophe Witz 31 Juli, 2023
Ich habe kürzlich für die Schüler meines Psychologie Kurses (am Bildungszentrum Flehingen) einige Folien zum Umgang mit Stress erstellt, und festgestellt dass ich einige Konzepte daraus auch in anderen Kontexten (z.B. Coaching & Supervision) verwenden kann. Grund genug es auch in meinem Blog zu teilen! Das Stress ABC Man kann die Entstehung von Stress drei Faktoren zuordnen: A – dem Stress auslösenden Ereignis B – die kognitive Bewertung, die dazu abläuft C - die emotionale Konsequenz die im Körper dadurch entsteht Ein Beispiel: ich komme morgens auf dem Weg zur Arbeit in einen Stau (A), ärgere mich über meine vertane Lebenszeit die ich sinnlos im Verkehr verbringe (B) und fange an zu hupen und alle um mich herum mit Schimpfwörtern zu belegen (C). Dieses Beispiel ist frei erfunden, versprochen. Um nun also Stress zu vermeiden / einen besseren Umgang damit zu pflegen, kann man an allen drei Faktoren ansetzen: A - ich kann die Strecke meiden, an der es häufig Stau gibt. Ich kann mit Bahn und Bus fahren. Ich kann meine Arbeitsstelle wechseln, um weniger Fahrtweg zu haben. B – ich kann versuchen die Situation anders zu bewerten. Vielleicht ist die Zeit im Stau nicht vertan, sondern ich kann sie für etwas nutzen? z.B. Radio oder Podcast anhören, schon mal über die Arbeit nachdenken und was später noch zu tun ist, oder anderweitig kreativ werden. Das Motto hier lautet: Tue das was geht, und nicht das, was nicht geht. C – ich kann lernen, mit mehr Gelassenheit zu reagieren auf Stress Momente. Ich kann Entspannungstechniken lernen, Atemübungen durchführen um Körper und Geist widerstandsfähiger zu machen gegen Stress. OMMMMMMMM Die Kollegen Verhaltenstherapeuten kennen dieses Schema natürlich bereits. Ich finde es sehr eingängig und auf viele Kontexte anwendbar. Ich freue mich über diese Neue Einsicht und wünsche allen Lesern eine geruhsame Sommerzeit ohne Stau und Wutanfälle.
von Christophe Witz 27 Feb., 2023
Die Pandemie scheint vorbei, die Masken fallen und an Tagen mit Sonnenschein kann man spüren, dass die schweren Zeiten möglicherweise bald der Vergangenheit angehören könnten. Spätestens wenn der Frühling einsetzt, werden wir unweigerlich damit beginnen zurück zu blicken und die Bilanz der letzten Jahre zu ziehen. Auch wenn es derzeit noch etwas zu früh dafür ist, möchte ich einen ersten Impuls setzen, wie eine Bilanz aus meiner Sicht aussehen könnte. Inspiriert wurde ich durch ein Buch über die Corona Situation, welches ich unten als Quelle angebe. Hier zwei, recht willkürlich gewählte Zitate daraus, die mir beim Lesen gut getan haben. >> Die ablehnende Haltung einer Person [zur Maske] kann viele Gründe haben, doch wahrscheinlich kreist sie um eine bestimmte Vorstellung des eigenen individuellen Körpers, seines Verhältnisses zu anderen, der Traditionen, die ihn intelligibel gemacht haben, sowie um einen gleichermaßen hartnäckigen Einwand gegen die Tatsache, dass sich die Wirklichkeit in Wahrheit völlig anders gestalte, als sie glauben will. Die epidemiologische Realität der Pandemie wirft die Grenzen zwischen Individuum und Gruppe, zwischen Innen und außen über den Haufen, und für Selbstidentitäten, die auf stabilere Grenzen und subjektiv bedingte Realitäten angewiesen sind, mag dies durchaus beunruhigend sein. Für andere hat die Berührungslosigkeit der Maske, der Rückzug des Gesichts aus dem persönlichen Kontakt, zu einer anderen Art von prophylaktischem Ethos geführt, dem zufolge die Biologie ideologische Überlegungen aussticht und Berührungslosigkeit gerade eine Intimität mit Fremden impliziert.<< >>Bei den pandemischen Maskenkriegen geht es im Kern um das richtige Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, um die Frage, was es bedeutet, wenn Letztere Forderungen an Ersteres stellt, und ob die damit einhergehenden Verantwortlichkeiten eine Verletzung der Souveränität darstellen oder die Durchsetzung eines geeigneten epidemiologischen Blicks der Gesellschaft. Umstritten bei den Maskenkriegen ist die Verortung des Risikos. Einige, die sich weigern, eine Maske zu tragen, werden die eine oder andere Version der Behauptung vorbringen, dass sie selbst die Risiken eingingen, es daher eine individuelle Entscheidung sei und dass die gesellschaftliche Norm oder das Gebot, eine Maske zu tragen, dementsprechend wieder zur Privatsache werden solle. Dass das maßgebliche Risiko offensichtlich kein privates ist, scheint ihrem Denken aufrichtig entgangen zu sein, und diese Tatsache legt nahe, dass das epidemiologische Modell ihnen womöglich prinzipiell undenkbar ist, sei es buchstäblich oder moralisch.<< Quelle: Benjamin Bratton: „Die Realität schlägt zurück: Politik für eine postpandemische Welt“ (2021) Ich stimme diesen Aussagen aus ganzem Herzen zu. Bleibt nur noch anzumerken, dass nach meiner Beobachtung es vor allem Menschen mit Esoterik Hintergrund waren, denen während der Pandemie einige Dinge „aufrichtig entgangen“ waren. Was ich über Esoterik und Spiritualität denke, habe ich an andere Stelle geschrieben. Das sollte vorerst genügen. Christophe Witz, 27. Februar 2023
von Christophe Witz 05 Jan., 2023
Die Bindungstheorie beschreibt emotionale Verhaltensmuster zwischen Eltern und Kindern, Ehepartnern und Familienangehörigen. Diese emotionalen Verhaltensmuster sind zum Teil angeboren und bilden sich in den ersten Lebensjahren des Kleinkinds in der Interaktion mit dem versorgenden Elternteil aus, und haben starken Einfluss auf das spätere Beziehungs-Erleben und die spätere Beziehungs-Gestaltung des Kindes. Durch Selbst-Reflektion kann man als Erwachsener diesen emotionalen Mustern auf die Schliche kommen und sie, wenn nötig, kognitiv erfassen und beeinflussen („Kenne Dich selbst“). Diese Form der Selbstreflektion nennt man Mentalisieren. Diese findet am effektivsten im Gespräch mit einem Außenstehenden statt, einem Freund außerhalb der Familie, oder einem Coach oder Supervisor. Diese knappe Zusammenfassung der Bindungstheorie soll deren Bedeutung für alle zwischenmenschlichen Belange nochmals aufzeigen. In meiner praktischen Arbeit als Systemischer Familientherapeut greife ich oft darauf zurück. In der Praxis ist die Bindungstheorie nach meiner Erfahrung in vielen Bereichen gut kompatibel mit der Systemischen Theorie, wenn auch nicht in Allen. Diese Überschneidungen und Unterschiede interessieren mich sehr. Daher war ich erfreut, einen Text zu finden, der die Verknüpfung von Bindungs- und Systemtheorie weiter beleuchtet. Dr. Alexander Trost beschreibt in seinem Buch „Bindungswissen für die systemische Praxis“ (Vandenhoeck & Ruprecht, 2018) eine Studie, die die Bindungsstile von Systemischen Therapeuten erfasst und sie mit repräsentativen Stichproben vergleicht. Dabei zeigte sich, dass überzufällig viele SystemikerInnen einen unsicher-ambivalenten Bindungsstil aufweisen. Im Sinne der Selbstreflektion ist dies ein interessantes und berichtenswertes Ergebnis. Positiv gewendet bedeutet dies, dass viele SystemikerInnen sehr feine Antennen haben für das innere Erleben ihrer Klienten, sie sind auch gerne bereit emotional in die Arbeitsbeziehung zu investieren. Auch bei Frustrationen und Komplikationen des Beratungsprozesses bleiben sie in Verbindung mit dem Klienten. Sie können ein Modell sein für den Ausdruck von Emotionen wie Angst, Wut und Ärger, vorausgesetzt sie sind selbst-reflexiv genug für einen bewussten Umgang damit. Umgekehrt besteht das Risiko darin, sich emotional mit eigenen Themen mit dem Klienten zu verstricken und durch die schnelle Bindungsaktivierung an Empathie einzubüßen. Dagegen hilft regelmäßige Supervision und Teambesprechungen, um wieder die Meta-Ebene der Selbstreflektion zu erreichen. Lieber Leser, ich hoffe dieser Text ist ein Beitrag zu Deiner eigenen Selbstreflektion. Ich wünsche viele gelingende Prozesse und Interaktionen mit Klienten im Jahr 2023. Christophe Witz
von Christophe Witz 13 Okt., 2022
Zum Stichwort Führung im Sinne von Leiten von Gruppen, Abteilungen, Teams gibt es viele Meinungen und Trends. In Rahmen meiner Coachings mit Führungskräften nutze ich gerne ein bestimmtes Modell als Orientierung und Leitbild, welches ich hier kurz darstellen möchte. Den Ansatz habe ich von Stefanie Kaufmann-Wehler kennengelernt, die Teile davon von Paul Lahninger übernommen hat. Grob gesagt werden in diesem Ansatz im wesentlichen zwei Führungsstile unterschieden: einen eher traditionell direktiven und Aufgabenbezogenen Stil, und einen mehr Beziehungs- und Mitarbeiterorientierten Führungsstil. Diese Stile können als Yin und Yang der Führung beschrieben werden. Yang: Organisieren, Administrieren, zweckgerichtetes Handeln, Abarbeiten des Operationalen Tagesgeschehens, Beobachtbares & messbares Endergebnis (Kennzahlen), Ordnung schaffen, Fordern, kontrollieren, Planen, Abgrenzen, Strategisch Denken Yin: Begleitende & nährende Führung, auf persönliche Beziehung und individuelles Gestalten gerichtet, Führungskraft als sozial kompetenter Coach, Wärme bewirken, Begegnen, Ausgleichen, Einbeziehen, Einfühlsam versorgen, Gruppenziele, Liebevolle Raumgestaltung der Büros/ Aufenthaltsräume Im Bild von Yin und Yang sind dies keine Gegensätze, sondern sich ergänzende und bedingende Polaritäten. These: Gute Führung benötigt beide Aspekte um in Balance und damit auf Dauer erfolgreich zu sein. An diesem Punkt stellt sich die Frage: Welcher Stil liegt dem Coachee persönlich näher? Bestehen Vorurteile gegenüber dem weniger vertrauten Stil? Wie kann man den weniger vertrauten Stil entwickeln und für sich nutzbar machen? Aufgabe an den Coachee: Erinnere eine herausfordernde Situation innerhalb der eigenen Leitungsverantwortung. Welche Wirkung hätte ein Wechsel des Führungsstils zur anderen Polarität gehabt? In welcher Form könnte ein solcher situativer Wechsel künftig hilfreich sein? Dies sollte genügen, um einen Eindruck vom Konzept „Führen in Balance“ gewonnen zu haben.
von Christophe Witz 09 März, 2022
Definition Familienaufstellung, zitiert aus Wikipedia: „Familienaufstellung bezeichnet ein Verfahren, bei dem stellvertretende Personen für manche Familienmitglieder eines Klienten stehen und konstellativ angeordnet (gestellt) werden - um aus einer dazu in Beziehung gesetzten Wahrnehmungsposition gewisse Muster innerhalb jenes Familien-Systems erkennen zu können. Die Praxis des Familienstellens gründet auf der Vermutung, dass innerlichgrundlegende Beziehungsverhältnisse auch innerlich räumlich abgespeichert wirken - je nach Ausprägung funktional bis dysfunktional.“ Die familientherapeutische Methode der Aufstellung hat sich entwickelt aus der Arbeit von Virginia Satir, die mit ihren Klienten in mehrtägigen Seminaren den Wurzeln und der Herkunft von Familien nachgeforscht hat. Diese „Familienrekonstruktionen“ machten mittels Stellvertretern und dem Nachspielen von Schlüsselszenen der Familiengeschichte Muster und Emotionen der Vergangenheit spürbar und im Hier und Jetzt lebendig. Aus dieser Arbeit entwickelte sich die kürzere Form der „Familienskulptur“, die einzelne Szenen von familiären Geschehnissen aufgreift und bearbeitbar macht. In den 1990er Jahren war die Blütezeit der Aufstellungen nach Bert Hellinger, dessen Name eine Zeit lang synonym zur Methode der Aufstellung verwendet wurde. Hellinger führte große Veranstaltungen mit Tausenden von Menschen durch und seine Prinzipien der „Ordnungen der Liebe“ wurden populär und tauchten regelmäßig in den Printmedien der Zeit auf. Die während der Aufstellung auftauchenden Wahrnehmungen der Stellvertreter wurden von Hellinger als faktische (phänomenologische) Wahrheiten betrachtet, mit denen man umzugehen habe. Dabei tauschte er auch schon mal Stellvertreter aus, die aus seiner Sicht nicht genügend medial veranlagt waren. Leider versäumte es Hellinger, sich den Erfordernissen der modernen Zeit anzupassen und stieß vielen Kritikern mit seinen monolithischen Ordnungspostulaten vor den Kopf. Die Kritik betraf vor allem das Frauenbild Hellingers, das eindeutig vom Alten Testament inspiriert war. Und so wurde Hellinger ein frühes Opfer der „Cancel Culture“, und zwar zurecht. Heutzutage orientieren sich praktizierende Familientherapeuten (wie ich) eher wieder an Virginia Satir und ihrer konstruktivistischen Sichtweise. Im Unterschied zu Hellingers phänomenologischer Wahrheitsfindung werden dabei die in der Aufstellung auftretenden Informationen als soziale Konstruktion betrachtet, die dem inneren Abbild des Klienten genügend ähnelt um eine Veränderungswirkung zu erzielen. Auch wird davon ausgegangen dass jeder Stellvertreter genau der richtige ist, um an seinem Platz zu wirken. Probleme beim Erspüren von Wahrnehmungen werden als der Rolle zugehörig und demnach als wichtige Information angesehen. Der Verzicht auf den absoluten Wahrheitsanspruch der Aufstellung öffnet Türen zu spielerischem und experimentierfreudigem Entdecken, was fast von allein zu Wachstum und Entwicklung führt. Auf die Tiefe der Erkenntnis und der im Familiensystem gespeicherten Emotionen muss dabei nicht verzichtet werden. Sobald diese Veränderung des Kontexts klar ist, können auch ausgewählte Kernprinzipien von Hellingers Dogma wieder mehr Anerkennung finden: so spricht der gefallene Patriarch von „Zwei Seelen“ die in Familien wirksam sind: Eine hält der Tradition die Treue und verbindet uns mit der Vergangenheit, den Wurzeln. Die andere Seele ruft uns hinaus ins Unbekannte, zur Entdeckung neuer (innerer) Kontinente. Der Konflikt zwischen diesen beiden Anteilen kann einige Probleme in Familien verursachen – können wir aber einen Punkt in uns finden, an dem diese beiden Seelen wirken dürfen, ohne Widerspruch? Um Verbundheit und Abgrenzung zu spüren? Um Individuation und Bindung leben zu können? Meinen guten Platz zu finden – das ist es, worum es geht. Christophe Witz, März 2022
von Christophe Witz 14 Okt., 2021
Corona, Pandemie, Lockdown: diese Begriffe haben einen schweren Beiklang. Für mich war das Jahr 2020 eine Zeit des Verzichts, der Genügsamkeit und der Isolation. Und, wie für viele andere, war es für mich die Zeit ein neues Hobby zu beginnen. Etwas Neues zu beginnen und mehr darüber zu lernen war eine gute Erfahrung für mich. Ich habe gemerkt dass ein Hobby eine zusätzliche Quelle der Freude und des Selbstwerts sein kann, unabhängig von beruflicher oder familiärer Anerkennung. Sich tiefer mit seinem Hobby zu beschäftigen und sich mit anderen Menschen auszutauschen die die Freude und Begeisterung darüber teilen ist etwas Schönes das ich nicht mehr missen möchte. Gerade in den schwierigen Zeiten des letzten Jahres war mein Hobby ein Segen und zauberte mir zuverlässig ein Lächeln aufs Gesicht. Was ist nun mein Hobby? Ich habe nicht Backen, Singen oder Jonglieren gelernt, sondern habe mich mit Online-Gaming beschäftigt, und zwar einem bestimmten Bereich davon: ich spiele seit dem Lockdown Fighting Games wie Street Fighter V. Man spielt dabei 1 gegen 1 mit einem anderen Spieler Online, zwei Runden á 99 Sekunden. Auf Knopfdruck macht die eigene Spielfigur bestimmte Bewegungen und Angriffe, schwierigere „Special Moves“ werden durch bestimmte Knopf Kombinationen ausgelöst. Das ist im wesentlichen Alles worum es geht. Dadurch dass man aber nicht gegen einen Computer sondern gegen einen anderen Menschen über eine Online Verbindung spielt, wird die Sache interessant. Nachfolgend einige Learnings aus meiner Beschäftigung mit dem Thema: Wenn man die Bewegungen und Angriffe des Gegenspielers vorausahnt, kann man diese kontern und in die eigene Offensive übergehen, das funktioniert im Grunde wie beim Schach, ich überlege was der Gegenspieler tun wird und treffe entsprechende Entscheidungen. Mit etwas Übung macht dieser Teil des Spiels großen Spaß und sorgt für Überraschungen. Ein anderer Teil des Spiels ist dass nach und nach ein Muskelgedächtnis aufgebaut wird, welche Bewegungen in welcher Reihenfolge und in welcher Situation erfolgreich sind, sogenannte Combos oder auch Anti-Airs (Abwehr von Sprungangriffen aus der Luft). Zu bemerken wie durch Übung die Bewegungen und Entscheidungen immer flüssiger und schneller ablaufen, ist vergleichbar mit dem Erlernen eines Musikinstruments. Die Früchte des eigenen Trainings zu bemerken und Stolz darauf zu sein ist für mich ein weiterer Beleg für die sinnhafte Tätigkeit namens Hobby. Ebenfalls lernte ich einiges übers Gewinnen und Verlieren: da es sich um ein Duell-Spiel handelt, verliert man statistisch gesehen (bei einem gleich starken Gegner) jedes zweite Mal, also in 50% der Fälle. Als Anfänger verliert man sogar noch öfter. Dadurch bekommt man die Gelegenheit zu erfahren, wie man persönlich mit Sieg und Niederlage umgeht: in meinem Fall stellte ich fest, dass ich lieber gewinne als verliere. ;-D Falls man dennoch verliert, ist die Frage wie man damit umgehen möchte: Reagiert man mit Ärger und Wut, wirft den Controller in die Ecke und stampft mit den Füßen auf den Fußboden dass sich die Nachbarn beschweren? Oder schiebt man die Schuld für die Niederlage auf irgendeinen Sündenbock (z.B. die schlechte Internet Verbindung, die unfaire Taktik des Gegners, die übermächtige Spielfigur die der Gegner gewählt hatte, oder die zu schwache eigene Spielfigur die vom Spielhersteller dringend überarbeitet gehört usw usf). Oder ärgert man sich über die eigenen Entscheidungen im Spiel, die zur Niederlage geführt haben? Am sinnvollsten ist tatsächlich, jede Niederlage als Lernerfahrung zu begreifen und zu versuchen zu verstehen welche eigenen Entscheidungen dazu geführt haben. Auf diese Art ist am ehesten eine kontinuierliche Verbesserung möglich, so dass schon bald der strahlende Sieg winkt und alle Mühen auf dem Weg dorthin vergessen macht (so weit die Theorie). Je tiefer man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr neuartige Konzepte tauchen auf, die alle mit Fachausdrücken bezeichnet werden. So erweitert sich sukzessive das Vokabular um neue Begriffe. Hier eine Liste mit neuen Fachworten die ich gelernt habe: „Footsies“: Beinarbeit und Beachten des Abstands zwischen den Spielfiguren, „Okizeme“ Strategisches Abwägen der Optionen nach einem Knockdown, „Plus Frames“: wie schnell ist meine Spielfigur bereit für die nächste Aktion im Vergleich zum Gegenspieler usw. Es gibt ganze Online-Wörterbücher nur für diesen Bereich, in denen man zur Not nachschlagen kann was ein Wort bedeutet. Dazu kommt die Möglichkeit sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, es gibt zahlreiche Vlogs und YouTube Videos sowie Foren und Discord Gruppen in denen man Tipps und Tricks und Zuspruch erhalten kann. Man ist Teil einer Gemeinschaft von Fans und Liebhabern des Hobbys, und das war und ist eine gute und wichtige Unterstützung für mich, im Lockdown und darüber hinaus. Lieber Leser, ich wünsche auch Dir weiterhin viel Spaß mit Deinem Hobby.
Mentalisierung, Bindung, Beziehungsgestaltung, Therapietool
von Christophe Witz 03 Feb., 2021
Im ersten Teil der Reihe "Konzepte der Mentalisierung" stelle ich den ASZW Zyklus vor, en therapeutisches Tool zur Gestaltung von pädagogisch-therapeutischen Arbeitsbeziehungen.
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