Im Bereich der Jugendhilfe ist das Phänomen des Ritzens recht bekannt, und manchmal gefürchtet.
Ich möchte einige Erfahrungen mit dem Thema hier beschreiben und einige Möglichkeiten des Umgangs damit vorstellen.
Wenn man Jugendliche fragt warum sie sich Ritzen, erfährt man dass sie einen unerträglichen Druck in ihrem Inneren spüren der sich nicht auflösen lässt und der durch den Vorgang des Ritzens und Blutens gemindert wird. In anderen Worten, das Ritzen ist ein Versuch der Stressregulation durch Selbstverletzung (Mechanisch ausgedrückt: Ritzen als Überdruckventil).
Dies funktioniert in der Regel recht schnell, aber nicht sehr nachhaltig, denn schon nach ein paar Stunden kann sich der Druck wieder aufgebaut haben, weshalb man in der psychologischen Beratung und Therapie versucht, alternative Möglichkeiten zur Regulation des inneren Drucks zu finden und anzubieten.
Diese Alternativen sind als „Skills“ bekannt geworden und stammen ursprünglich aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) nach Marsha Linehan, sind aber heute recht weit verbreitet. Eva Möhler und Andrea Dixius haben Anpassungen speziell für Jugendliche vorgenommen (siehe START Programm, www.startyourway.de) .
Bei akutem Hochstress helfen vor allem Kältereize und intensive Bewegung/ Sport.
z.B. Kaltes Wasser ins Gesicht, Hände unter fließendes kaltes Wasser halten, Eiswürfel lutschen, Eiswürfel auf der Haut spüren. Oder Klimmzüge, SitUps, Liegestütze machen bis die Intensität der Körperwahrnehmung ausreicht um „sich zu spüren“ und eine Regulationserfahrung zu machen.
Im Bereich von mittlerem Stress wird empfohlen die einzelnen Sinneskanäle anzusprechen:
Visuell: Schöne Bilder, Fotos, Postkarten betrachten. In die Natur gehen und sich umschauen.
Akustisch: Lieblingsmusik hören, Hörbuch, Telefonieren mit Lieblingsmensch.
Geruch: verschiedene Duftöle, Ammoniak (Vorsicht!), frisch gewaschene Wäsche
Geschmack: Saure Drops, Brausepulver direkt auf die Zunge, Chilischoten, Schokolade
Kinästhetisch: Gummibänder am Handgelenk zwirbeln, Bälle zum Drücken und an die Wand werfen
Natürlich kann man seine Eltern und Erzieher besser schockieren mit Ritzwunden und blutigen Verbänden. Aber für viele betroffene Jugendliche stellen die genannten Skills eine realistische Alternative dar. Schlussendlich geht es für Jugendliche auch immer darum, sich nicht nur über Verhalten sondern auch über Worte auszudrücken zu lernen. Die genannten Skills können einen wichtigen Zwischenschritt darstellen.