Unser Wissen um Ursachen und Schutzfaktoren von psychosomatischen Erkrankungen wie Burnout, Depression und Angststörungen ist mittlerweile sehr ausgereift. Wir verfügen über gute Möglichkeiten der psychotherapeutischen Behandlung und Prävention. Wir wissen, dass diese psychischen Erkrankungen Symptome von erhöhter Stressbelastung im Alltag darstellen und dass immer mehr Menschen aller Bevölkerungsschichten davon betroffen sind.
Aber wie wirkt sich eine psychische Erkrankung auf die Familie der Betroffenen aus? Was bedeutet sie für den Ehepartner? Welche Auswirkungen hat sie auf die Kinder?
Eine Familie hat typischerweise eine innere Balance, die durch die oft krisenhafte Erkrankung eines Mitglieds durcheinandergebracht wird. Ist das erkrankte Familienmitglied ein Elternteil, ruft dies sehr häufig typische Symptome und ausgleichende Verhaltensweisen von Kindern hervorrufen. In der Regel sind Kinder nur zu bereit sind, sich dem erkrankten Elternteil tröstend zuzuwenden. Sie wollen etwas von der liebevollen Aufmerksamkeit zurückschenken, welche sie im Normalfall zu empfangen gewohnt sind. Dies ist zunächst auch nicht weiter problematisch. Eine schöne Geste der engen Verbundenheit zwischen Kind und Eltern, könnte man denken.
Problematisch wird es aber, wenn dieser Zustand der Umkehrung des Gewohnten über eine längere Zeit anhält und beginnt, zur Dauereinrichtung zu werden. Wenn dann noch gewisse Risikofaktoren (Trennung/Scheidung, Alkohol, Verlust des Arbeitsplatzes) hinzukommen, besteht die Gefahr der Chronifizierung. Man spricht dann vom "parentifizierten" Kind, also von der Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Im Extremfall findet sich das Kind in der Lage wieder, sich um den elterlichen Haushalt (kochen, putzen usw.) sowie um den emotionalen Zustand des erkrankten Elternteils sorgen zu müssen. Langfristig führt dies dazu, dass eigene Bedürfnisse vernachlässigt werden. Solche Kinder wirken sehr ernsthaft, wie kleine Erwachsene. Verloren gehen die typischen Merkmale der Kindheit, das Unbeschwerte, Spielerische, Verträumt-Fantasievolle. Solche Kinder haben ein erhöhtes Risiko, im Erwachsenenalter selbst Burnout oder Depression zu entwickeln.
In solchen Fällen ist es notwendig, daß die verfügbaren erwachsenen Personen wieder die Verantwortung übernehmen und die Kinder entlasten. Eine hilfreiche Botschaft könnte sein:
"Wir, Deine Eltern und Erwachsenen Bezugspersonen, übernehmen die Verantwortung für die Probleme der Erwachsenen. Du brauchst das nicht mehr zu tun. Vielen Dank für alles was du getan hast, aber Du kannst hier nicht genug ausrichten. Das ist eine Überforderung für Kinder in Deinem Alter. Wir werden das Problem lösen und uns Unterstützung und Hilfe bei anderen Erwachsenen (Ärzten, Therapeuten) suchen, falls nötig."
Je früher diese Entlastung gelingt, desto besser. Ansonsten besteht die Gefahr dass die Rollenumkehr internalisiert und bis ins Erwachsenenalter hinein getragen wird.
Wenn diese Entlastung durch die oben genannte Botschaft gelingt, gibt es typischerweise ein Aufatmen bei den Betroffenen. Die aufgestaute Trauer und Wut kann sich Bahn brechen und in heißen Tränen äußern, die idealerweise durch eine Umarmung durch den Elternteil beantwortet werden.
Eine solche Parentifizierung kann in leichten Fällen in ambulanter Therapie behandelt werden. In chronifizierten, schwereren Fällen, gibt es spezialisierte Kliniken, die die Problematik in vier bis sechs Wochen gut behandeln können.