Definition Familienaufstellung, zitiert aus Wikipedia:
„Familienaufstellung bezeichnet ein Verfahren, bei dem stellvertretende Personen für manche Familienmitglieder eines Klienten stehen und konstellativ angeordnet (gestellt) werden - um aus einer dazu in Beziehung gesetzten Wahrnehmungsposition gewisse Muster innerhalb jenes Familien-Systems erkennen zu können. Die Praxis des Familienstellens gründet auf der Vermutung, dass innerlichgrundlegende Beziehungsverhältnisse auch innerlich räumlich abgespeichert wirken - je nach Ausprägung funktional bis dysfunktional.“
Die familientherapeutische Methode der Aufstellung hat sich entwickelt aus der Arbeit von Virginia Satir, die mit ihren Klienten in mehrtägigen Seminaren den Wurzeln und der Herkunft von Familien nachgeforscht hat. Diese „Familienrekonstruktionen“ machten mittels Stellvertretern und dem Nachspielen von Schlüsselszenen der Familiengeschichte Muster und Emotionen der Vergangenheit spürbar und im Hier und Jetzt lebendig. Aus dieser Arbeit entwickelte sich die kürzere Form der „Familienskulptur“, die einzelne Szenen von familiären Geschehnissen aufgreift und bearbeitbar macht.
In den 1990er Jahren war die Blütezeit der Aufstellungen nach Bert Hellinger, dessen Name eine Zeit lang synonym zur Methode der Aufstellung verwendet wurde. Hellinger führte große Veranstaltungen mit Tausenden von Menschen durch und seine Prinzipien der „Ordnungen der Liebe“ wurden populär und tauchten regelmäßig in den Printmedien der Zeit auf.
Die während der Aufstellung auftauchenden Wahrnehmungen der Stellvertreter wurden von Hellinger als faktische (phänomenologische) Wahrheiten betrachtet, mit denen man umzugehen habe. Dabei tauschte er auch schon mal Stellvertreter aus, die aus seiner Sicht nicht genügend medial veranlagt waren.
Leider versäumte es Hellinger, sich den Erfordernissen der modernen Zeit anzupassen und stieß vielen Kritikern mit seinen monolithischen Ordnungspostulaten vor den Kopf. Die Kritik betraf vor allem das Frauenbild Hellingers, das eindeutig vom Alten Testament inspiriert war. Und so wurde Hellinger ein frühes Opfer der „Cancel Culture“, und zwar zurecht.
Heutzutage orientieren sich praktizierende Familientherapeuten (wie ich) eher wieder an Virginia Satir und ihrer konstruktivistischen Sichtweise. Im Unterschied zu Hellingers phänomenologischer Wahrheitsfindung werden dabei die in der Aufstellung auftretenden Informationen als soziale Konstruktion betrachtet, die dem inneren Abbild des Klienten genügend ähnelt um eine Veränderungswirkung zu erzielen. Auch wird davon ausgegangen dass jeder Stellvertreter genau der richtige ist, um an seinem Platz zu wirken. Probleme beim Erspüren von Wahrnehmungen werden als der Rolle zugehörig und demnach als wichtige Information angesehen.
Der Verzicht auf den absoluten Wahrheitsanspruch der Aufstellung öffnet Türen zu spielerischem und experimentierfreudigem Entdecken, was fast von allein zu Wachstum und Entwicklung führt. Auf die Tiefe der Erkenntnis und der im Familiensystem gespeicherten Emotionen muss dabei nicht verzichtet werden.
Sobald diese Veränderung des Kontexts klar ist, können auch ausgewählte Kernprinzipien von Hellingers Dogma wieder mehr Anerkennung finden: so spricht der gefallene Patriarch von „Zwei Seelen“ die in Familien wirksam sind: Eine hält der Tradition die Treue und verbindet uns mit der Vergangenheit, den Wurzeln. Die andere Seele ruft uns hinaus ins Unbekannte, zur Entdeckung neuer (innerer) Kontinente. Der Konflikt zwischen diesen beiden Anteilen kann einige Probleme in Familien verursachen – können wir aber einen Punkt in uns finden, an dem diese beiden Seelen wirken dürfen, ohne Widerspruch? Um Verbundheit und Abgrenzung zu spüren? Um Individuation und Bindung leben zu können? Meinen guten Platz zu finden – das ist es, worum es geht.
Christophe Witz, März 2022